Mitarbeiterfluktuation in China

China boomt,und diese wirtschaftliche Dynamik wirkt sich auch auf den Arbeitsmarkt aus:China ist heute kein Arbeitgebermarkt mehr,sondern hat sich zum Arbeitnehmermarkt gewandelt. Der statistische Durchschnittswert der Fluktuation liegt in China bei 16,4%. Dieser Wert gibt jedoch nicht die erheblichen Schwankungen preis: Während an manchen Unternehmen mit weniger als 5% Fluktuation die Problematik vorbeizugehen scheint, haben wiederum andere Unternehmen mit einer jährlichen Fluktuation von über 25% die Herausforderung, in relativ kurzfristigen Zeitabständen neues Personal zu rekrutieren.

Diese Entwicklung geht an internationalen Unternehmen nicht spurlos vorbei: Sie konkurrieren nicht nur untereinander,sondern auch mit chinesischen Unternehmen um die qualifiziertesten Mitarbeiter. Dieser sog. „War for Talents“ hat eine hohe Fluktuation der besten Fach- und Führungskräfte sowie hohe Kosten in Form von Rekrutierungs- und Trainingskosten zur Folge. Nicht zu vergessen, dass eine hohe Fluktuation auch immer die Gefahr birgt,dass durch aus dem Unternehmen ausscheidende Mitarbeiter Know-how oder auch Geschäftsgeheimnisse abwandern. Es liegt somit auf der Hand, dass Mitarbeiterbindung von hoher strategischer Bedeutung ist und der Problematik der Fluktuation nicht durch unüberlegte Ad-hoc-Maßnahmen entgegen gesteuert werden sollte.

„Money is King“! – Wirklich?

Jährliche Lohnsteigerungen sind in China üblich: Die Mindestlöhne für ungelernte Arbeitskräfte steigen zurzeit jährlich um ca. 20%, die Gehälter für Führungskräfte etwa um 5-10 % im Jahr. Das legt die Vermutung nahe, dass ausscheidende Mitarbeiter ein Unternehmen nur aufgrund des Geldes verlassen. Und auch nach Meinung der deutschen Geschäftsführer verlassen 90% der Mitarbeiter aus monetären Gründen ihren Arbeitgeber. Dass dies ein Trugschluss ist, zeigt eine Studie von Wyatt, in der zwar seitens der Unternehmen Geld als Hauptgrund für einen Wechsel genannt wird, aber nur ein Drittel der ausgeschiedenen Mitarbeiter diese Annahme bestätigt. Der Grund liegt auf der Hand: Wenn ein Mitarbeiter sich entscheidet, den Arbeitsplatz zu wechseln, sollte dies auch immer mit einer Gehaltsverbesserung einhergehen. Die Praxis zeigt, dass es neben den monetären Gründen noch zwei weitere Gründe für die Fluktuation gibt: Ein Drittel der ausscheidenden Mitarbeiter strebt einen Jobwechsel aufgrund von Problemen mit dem Vorgesetzten bzw. Geschäftsführer an. Das letzte Drittel kündigt aus einer Vielzahl von persönlichen Gründen,wie z.B. einer zu langen Fahrzeit zur Arbeit sowie aus familiären Gründen (Umzug, Ehewunsch, o.ä.).

Geschäftsführer und Vorgesetzte beeinflussen die Fluktuation

Die Person des Geschäftsführers spielt eine entscheidende Rolle bei der Mitarbeiterbindung in Asien. Allein durch einen Wechsel im Management kann die Fluktuation im Unternehmen innerhalb kürzester Zeit ansteigen oder sinken – je nachdem, wie der neue Chef von den Mitarbeitern geschätzt wird.

Ein fairer Chef wird als ein guter Chef angesehen. Auch wenn ein Vorgesetzter sehr streng ist, hohe Anforderungen stellt oder gar als anstrengend wahrgenommen wird, bedeutet dies nicht gleichzeitig eine hohe Fluktuation. Aber wenn Mitarbeiter sich unfair behandelt und machtlos fühlen, suchen sie sich einen neuen Arbeitsplatz und somit auch einen neuen Vorgesetzten.

„Zu nette“ Vorgesetzte scheuen häufig eine deutliche Kommunikation mit ihren Mitarbeitern, weil sie Spannungen vermeiden möchten. So werden Missstände wie z.B. Unzufriedenheit mit der Leistung nicht angesprochen, um Konflikte zu vermeiden, bis der betroffene Mitarbeiter letztendlich als nicht mehr tragbar angesehen und entlassen wird. Oft wird diese Personalentscheidung zeitlich so abgepasst, dass der Vorgesetzte sich in den Urlaub oder auf eine Geschäftsreise begibt und für den jeweiligen Mitarbeiter nicht zu sprechen ist. Somit fällt dem HR-Manager des Unternehmens die undankbare Aufgabe zu, den Mitarbeiter während der Abwesenheit des Vorgesetzten entlassen zu müssen, ohne über die Gründe der Entlassung berichten zu können. Der betroffene Mitarbeiter fühlt sich aufgrund dieser mangelnden Transparenz ungerecht behandelt, und die verbleibenden Arbeitnehmer sind verunsichert, weil sie die Personalführung als unberechenbar einschätzen und sich lieber eine neue Stelle suchen, bevor sie der Nächste auf der Entlassungsliste sind.

Gut gemeinte Mitarbeiterbindungsmaßnahmen

Viele HR-Manager basteln sich einzelne, gut gemeinte Maßnahmen, anstatt ein vollständig durchdachtes Mitarbeiterbindungsprogramm zu entwickeln. Häufig haben diese Maßnahmen zur Folge,dass die Fluktuation sogar ansteigt.

Beispiel Treue-Bonus: Vor allem amerikanische Unternehmen, aber zunehmend auch einige deutsche Unternehmen, führen einen Treue-Bonus ein, den die Mitarbeiter nach zwei oder drei Jahren Betriebszugehörigkeit bekommen können. Solch ein Bonus führt jedoch häufig dazu, dass Mitarbeiter nach der Auszahlung des Bonus das Unternehmen sofort verlassen. Diese Maßnahme ist somit in der Praxis wenig zielführend, um Mitarbeiter langfristig an sich zu binden.

Beispiel Schulung und Ausbildung: Schulungen und Trainings motivieren die Mitarbeiter zwar, machen diese jedoch auch attraktiv für andere Unternehmen. Ohne ein richtiges Trainingskonzept sowie flankierende Maßnahmen sind Ausbildungen eher eine Outplacement-als eine Mitarbeiterbindungsmaßnahme.

So gibt es z.B. rechtliche Maßnahmen, mit denen man die Mitarbeiter länger an sich binden kann: Zum einen kann man ein nach vertragliches Wettbewerbsverbot vereinbaren, das in China für bis zu zwei Jahren nach Vertragsende gelten kann. Ratsam ist auch ein sog. „Training Agreement“, d.h. wenn der Mitarbeiter das Unternehmen verlässt, muss er die anteiligen Schulungskosten zurückzahlen. Hierbei sind in China sogar Bindungsfristen von 3 oder 5 Jahren üblich.

Darüber hinaus sollten auch Art und Inhalt der Trainings sorgfältig gewählt sein. Soweit wie möglich sollen Schulung und Ausbildung so unternehmensspezifisch sein, dass sie für andere Unternehmen nur von geringem Wert sind. Auch die Vergabe der Zertifikate soll bedacht und beschränkt werden – Zertifikate haben nur eine sehr kurzfristige Motivationswirkung, erleichtern die Bewerbung der Mitarbeiter bei anderen Unternehmen jedoch enorm.

Fluktuation gar nicht erst entstehen lassen

Mitarbeiterbindung beginnt bereits bei der Rekrutierung der Mitarbeiter und nicht erst nach Unterzeichnung des Arbeitsvertrags. Viele Manager begehen den Fehler, bei der Mitarbeiterauswahl nur auf die fachliche Qualifikation zuachten.Ob ein Mitarbeiter zu dem Unternehmen passt, hängt nicht nur von seiner Qualifikation, sondern auch von sog. „weichen“ Faktoren ab. Als Recruiter ist es wichtig herauszufinden, ob der Kandidat die Werte des Unternehmens teilt, sich in der Unternehmenskultur wohlfühlt und mit den direkten Vorgesetzten persönlich gut auskommen kann. Wird bei dem Kandidaten eine gewisse „Instabilität“ deutlich, wie z.B. persönlicher Ehrgeiz, familiärer Druck oder eine mangelnde Bereitschaft umzuziehen, sollte man die Eignung dieses Kandidaten hinterfragen.

Methodik eines Mitarbeiterbindungsprogramms

Konkret besteht solch ein Programm aus drei Teilprojekten, die in etwa vier Monaten durchgeführt und implementiert werden können.

Zunächst werden alle Mitarbeiter von zwei erfahrenen HR-Beratern interviewt und direkt im Anschluss unabhängig voneinander bewertet. Darüber hinaus werden die Leistungen der Mitarbeiter in Abstimmung mit deren Vorgesetzten und auch durch Feedback von Kollegen und Mitarbeitern (also anhand einer 360-Grad-Evaluation) beurteilt. Anhand der daraus resultierenden Gesamtevaluation ist es möglich, sofortige Maßnahmenempfehlungen abzuleiten, wie z.B. Schulung für Mitarbeiter, Coaching für Manager, aber auch bereits Empfehlungen über etwaige Versetzungen, Austausch oder Entlassungen, wenn z. B. Mitarbeiter die notwendigen Anforderungen ihrer Stellenbeschreibung offensichtlich nicht erfüllen und auch in absehbarer Zeit nicht erfüllen werden. Triviale, aber tatsächliche Beispiele aus der Praxis sind z.B. der Buchhalter, der keinen Computer bedienen kann (Schulung), der Salesman, der nicht gerne reist und verkauft, aber über profunde technische Kenntnisse verfügt (Versetzung) sowie der Expatriate, der gar nicht merkt,welche Fehler er im Umgang mit chinesischen Mitarbeitern macht (Coaching).

Im Anschluss an die Mitarbeiterevaluation werden maßgeschneiderte Gehaltsstudien angefertigt. Natürlich kann man auch bereits vorhandende Gehaltsstatistiken als Grundlage verwenden; die Praxis zeigt jedoch, dass gerade deutsche Unternehmen einzigartige Stellenbeschreibungen mit hohen Anforderungen haben, so dass keine vorhandene Gehaltsstatistik dazu passt. Es macht viel mehr Sinn, die aktuellen Gehälter mit dem Gehalt und der Qualifikation vergleichbarer Angestellter anderer Firmen der selben Branche zu vergleichen, um dadurch ein konkretes Bild des Gehaltsgefüges und des „Preis – Leistungsverhältnis“ der eigenen Mitarbeiter zu bekommen.

Im letzten Schritt werden die Erkenntnisse der Gehaltsstudie mit den Evaluationsergebnissen der Mitarbeiter kombiniert, um so anhand der persönlichen Präferenzen und Motivation der Mitarbeiter, die eine Schlüsselposition bekleiden, Mitarbeiterbindungsmaßnahmen zu definieren, die auf das Unternehmen zugeschnitten sind, denn Standardlösungen sind in China selten von Erfolg gekrönt.

Verfasst von Dr. Kuang Hua-Lin, Geschäftsführer von der Unternehemensberatung Asia-Pacific Management Consulting GmbH, veröffentlicht in Personal & Bildung