Fabriksanierung in China

Fabriksanierung in China

Dr. Kuang-Hua Lin
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Eine Fabriksanierung in China birgt auch für den erfahrensten Sanierer zahlreiche böse Überraschungen. Da bei einer Schließung meist hohe Nachzahlungen anstehen, ist ein Turnaround oder ein Verkauf aber meist die bessere Alternative – auch wenn die chinesischen Angestellten diese Pläne nicht selten sabotieren.

Ausgangspunkt eines fast jeden Turnaround- und Sanierungsprojekts durch externe Berater ist das Scheitern eigener Bemühungen des deutschen Mutterhauses, die Fabriken beziehungsweise Tochtergesellschaften in China von eigenen Mitarbeitern sanieren zu lassen. Deshalb sind solche Projekte niemals ein leichtes Unterfangen. Meist haben zu sanierende deutsche Fabriken in China eine große Gemeinsamkeit: Die Probleme liegen nicht nur in der Produktion, sondern viel tiefer in der gesamten Struktur, Organisation und Mentalität der Belegschaft vor Ort.

Erfahrungsgemäß sind ein Großteil aller Sanierungsprojekte ursprünglich Schließungsaufträge. Das deutsche Mutterhaus will also nach vergeblichen Sanierungsversuchen die Tochtergesellschaft in China schließen. Werden dann jedoch die Bücher vor Ort geprüft, stellt sich häufig heraus, dass dies gar nicht empfehlenswert oder machbar ist. Denn nicht selten kommt heraus, dass das Unternehmen massiv Sozialabgaben – und wesentlich seltener auch Steuern – hinterzogen hat. So müssten im Fall einer Schließung die Abgaben beziehungsweise Steuern zuzüglich Verzugszinsen nachgezahlt werden. Die Verzugszinsen belaufen sich in China auf 0,05% pro Tag, auf das Jahr gerechnet entspricht das satten 20%. Dieser Fall ist leider keine Seltenheit – trotz der jährlichen Auditierung durch Wirtschaftsprüfer, die stets eine ordnungsgemäße Buchhaltung bescheinight hatten. Verständlicherweise können nicht alle deutschen Mutterunternehmen diese Summe sofort aufbringen – schon gar nicht, wenn die Fabriken bereits seit über zehn Jahren bestehen. So ist es durchaus schon vorgekommen, dass sich die geschuldeten Sozialabgaben zuzüglich Verzugszinsen auf über 1 Mio. Euro oder gar über 10 Mio. Euro summiert haben.

 

Versäumnis bei den Abgaben

Die Unternehmen sind bei Projektbeginn durchweg der festen Überzeugung, dass ihre Tochtergesellschaften in China alle Steuern und Sozialabgaben immer korrekt bezahlt haben. Bei der anschließenden Prüfung vor Ort gab es jedoch noch nie den Fall, dass eine Fabrik wirklich alle Abgaben korrekt abgeführt hat. Zwar werden in der Regel für die monatlichen Löhne und Gehälter die Lohnsteuer und Sozialabgaben exakt berechnet und abgeführt, nicht jedoch für die Überstundenzuschläge und Prämien beziehungsweise nicht für die jährlichen Boni und Sonderzahlungen. Vor allem für Bargeld- oder Wertkarten-Geschenke an Mitarbeiter zum chinesischen Neujahr sowie für diverse geldwerte Vorteile werden selten Lohnsteuer bezahlt, geschweige denn Sozialabgaben. Geldwerte Vorteile wie beispielsweise Zuschüsse für Wohnungen, Essen oder Autos sind nämlich nur für Ausländer steuerfrei. Für chinesische Mitarbeiter sind solche Ausgaben geldwerte Vorteile und unterliegen nicht nur der Lohnsteuer, sondern den gesamten Sozialabgaben. Die größte Überraschung – selbst für erfahrene Firmensanierer – ist die Tatsache, dass Mitarbeiter chinesischer Tochtergesellschaften oft nicht an einer Gesundung des Unternehmens und somit einer Weiterbeschäftigung interessiert sind. Der Grund ist einerseits das chinesische Insolvenzrecht. Es besagt, dass ausstehende Gehälter sowie die gesetzliche Abfindung für die Mitarbeiter als erste Priorität gezahlt werden müssen, sogar noch vor der Steuer für das Finanzamt. Kombiniert mit der Tatsache, dass bei deutschen Unternehmen ausgebildete Mitarbeiter überall in China, vor allem bei chinesischen Wettbewerbern, mit Handkuss genommen werden, sind die Mitarbeiter selten bereit, Zugeständnisse zu machen.

 

Mitarbeiter hoffen auf Abfindung

Auch gibt es zahlreiche Fälle, in denen chinesische Mitarbeiter aktiv versucht haben, dem geschwächten Unternehmen den letzten Todesstoß zu geben und es in den Konkurs zu treiben, um die gesetzliche Abfindung zu bekommen. Angefangen bei der Sabotage der Maschinen, Produkte und der Produktion, über Zerstörung, Diebstahl oder Weiterverkauf des Firmeneigentums sowie vertraulichen Informationen, bis hin zur organisierten Verschwörung aller Vertriebsmitarbeiter, keine Bestellungen mehr anzunehmen. Solch unsolidarische Handlungen gipfelten beispielsweise in dem Verhalten einer chinesischen Finanzmanagerin, die insgeheim alle Zahlungen an Lieferanten eingestellt hatte, inklusive der Miete für die Fabrikhalle. Alle Mahnungen der Lieferanten und Vermieter wurden unterschlagen. Sogar in den monatlichen Finanzberichten sowie in der Liquiditätsrechnung wurde die Zahlungseinstellung verschwiegen, so dass es – aufgrund der fehlenden Mietzahlungen – letztendlich zu einem gerichtlichen Räumungsbefehl kam. Mit dem Zahlungsstopp entstand ein Cashbestand, der für die gesetzlichen Abfindungen aller Mitarbeiter ausreichte – in besagtem Fall mindestens ein Jahresgehalt, da die Mehrheit der Mitarbeiter über zehn Jahre beschäftigt war. Die Angestellten diskutierten während der Arbeitszeit offen in der Firma, auch in Anwesenheit des ahnungslosen deutschen Geschäftsführers, was sie mit der gesetzlichen Abfindung machen wollten. Wenn Mitarbeiter im Rahmen der Sanierung nicht zu Zugeständnissen bereit sind, resultiert dies oft in der Entlassung einiger Mitarbeiter. Das chinesische Arbeitsrecht sowie die Rechtsprechung vieler Arbeitsgerichte in China machen dieses sogenannte Downsizing jedoch extrem teuer und sehr schwer umzusetzen. Oft sind die Mitarbeiter mit der schlechtesten Leistung langjährige Mitarbeiter, weil sie in anderen Unternehmen keine so hohen Löhne und Gehälter bekommen können. Das führt dazu, dass deren Entlassungen extrem teuer sind, da für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit ein Monatsgehalt als gesetzliche Abfindung gezahlt werden muss.

 

Schwierigkeiten bei Entlassungen

Darüber hinaus ist es meist sehr schwierig, Mitarbeiter, die unterdurchschnittliche Leistungen bringen, zu mehr Produktivität zu motivieren. Da fast alle deutschen Fabriken in China Zeitlöhne zahlen (im Gegensatz zu chinesischen Fabriken, die fast ausschließlich Akkordlöhne zahlen), sind die Mitarbeiter nicht interessiert, effizienter zu arbeiten. Grundsätzlich ist die Überstundenbezahlung immer wesentlich höher als die angebotene Leistungsprämie. Eine nachträgliche Umstellung der Zeitlöhne auf Akkordlöhne bedarf der Zustimmung der Mitarbeiter und ist in der Praxis selten durchsetzbar. Wenn ein Arbeitgeber Mitarbeiter in China wegen schwacher Leistungen entlassen will, muss der Arbeitsgeber zuerst die Leistungsschwäche nachweisen, zum Beispiel durch eine formell und gut dokumentierte Evaluierung. Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Mitarbeiter eine zweite Chance zu geben, entweder durch eine Schulung oder eine Versetzung. Und erst wenn die Leistung danach immer noch schlecht ist, darf der Mitarbeiter entlassen werden. Das Problem in der Praxis liegt darin, wie häufig die Mitarbeiter evaluiert werden dürfen. Diverse Arbeitsgerichte haben bereits entschieden, dass eine zusätzlich eingeführte Evaluierung ungültig ist. Das heißt, der betroffene Mitarbeiter darf nur genauso oft von seinem Vorgesetzten beurteilt werden wie alle andere Mitarbeiter – also in der Regel einmal im Jahr. Mitarbeiter aus disziplinären Gründen zu entlassen ist noch schwieriger. Neben unwiderlegbaren Beweisen des Fehlverhaltens verlangen Arbeitsgerichte in China auch noch Beweise,ungültig ist. Das heißt, der betroffene Mitarbeiter darf nur genauso oft von seinem Vorgesetzten beurteilt werden wie alle andere Mitarbeiter – also in der Regel einmal im Jahr. Mitarbeiter aus disziplinären Gründen zu entlassen ist noch schwieriger. Neben unwiderlegbaren Beweisen des Fehlverhaltens verlangen Arbeitsgerichte in China auch noch Beweise,

  • dass es eine solche disziplinäre Regelung in dem Mitarbeiterhandbuch auch tatsächlich gibt,
  • dass das Handbuch tatsächlich veröffentlicht und jedem Mitarbeiter bekannt war (zu beweisen durch Fotos der Aushänge im schwarzen Brett, sowie Prüfungsergebnisse über den Inhalt des Handbuches von allen Mitarbeitern)
  • dass das Handbuch demokratisch verabschiedet wurde (durch ein unterschriebenes Protokoll der Vollversammlung aus dem Jahr der Verabschiedung des Handbuches).

Da eine Sanierung in China oft gegen den Willen der Mitarbeiter durchgeführt werden muss, und chinesische Mitarbeiter sich in der Regel gegenseitig bei Fehlverhalten decken, kann der Sanierer leider nicht auf die ehrliche Zusammenarbeit der Belegschaft hoffen. Das führt dazu, dass eine erfolgreiche Sanierung in China fast immer ein gesamtes Beraterteam braucht. In der Regel übernimmt der Sanierer nicht nur die Geschäftsführung, sondern sendet auch noch Spezialisten als „Aufpasser“ in die Fabrik vor Ort, die den Finanz- und HR-Manager sowie Einkaufs- und Produktionsleiter „unterstützen“. Im Klartext heißt das: Ein 4- bis 5-köpfiges Team mit gewissenhaften und zuverlässigen chinesischen Mitarbeitern ist für jede erfolgreiche Sanierung in China unabdingbar. Diese Teamstärke ist auch für die eigene Sicherheit notwendig, da es durchaus schon vorgekommen ist, dass Sanierer von Fabrikmitarbeitern physisch bedroht wurden.

 

Sanierung als Gemeinschaftsprojekt

Beim Antritt des mit der Sanierung beauftragten Beraters ist eine sofortige an alle Mitarbeiter gerichtete öffentliche Ansprache ratsam. Einerseits wird die Zielsetzung der Sanierung sowie das gesamte Sanierungsteam vorgestellt und alle Fragen beantwortet, um mögliche Gerüchte von vornherein zu verhindern. Andererseits sollte hier bereits der Versuch unternommen werden, die gesamte Belegschaft für die Mitarbeit bei der Sanierung zu motivieren. In der Regel können dadurch ein bis zwei Drittel der Mitarbeiter erreicht werden, die dann mit dem Sanierungsteam mehr oder weniger konstruktiv zusammenarbeiten. Es ist auch anzuraten, bei dieser Versammlung eine E-mail-Adresse und eine Telefonnummer für alle anstehenden Beschwerden und Fragen zu veröffentlichen, um den Mitarbeitern eine Möglichkeit zu geben, anonym Fragen zu stellen oder Anzeige bei beobachtetem Fehlverhalten erstatten zu können. Das hat sich als ein sehr nützliches Instrument erwiesen, um an konstruktive Hinweise zu kommen.

Auch wenn eine Entlassung in China schwierig ist, sollte trotzdem jede Möglichkeit genutzt werden, die das Gesetz und das vorhandene Mitarbeiterhandbuch ermöglicht. Dazu bedarf es sehr guter Fachanwälte für Arbeitsrecht, die sich mit der lokalen Rechtsprechung des Arbeitsgerichtes gut auskennen und wissen, was machbar ist und was nicht.

 

Keinen Interpretationsspielraum lassen

Da chinesische Mitarbeiter oft nur vortäuschen, dass sie kooperativ mitarbeiten, müssen alle Anweisungen nicht nur schriftlich, sondern auch sehr detailliert erfolgen. Sonst nutzen Mitarbeiter die Unklarheit der Anweisungen aus und stellen sich dumm. Beispielsweise gab es in einem Projekt konkrete Hinweise zur Korruption der gesamten Finanzabteilung. Um die Beweise zu sichern bis die Finanzprüfer kommen, hatte der Projektleiter verfügt, das Schloss der Finanzabteilung auszutauschen. Der Werksschlosser tauschte dieses auch sofort aus, jedoch wurden in der folgenden Nacht alle Beweise aus dem Raum der Finanzabteilung vernichtet. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass der Schlosser kein neues Schloss eingebaut hatte, sondern ein altes Schloss aus dem Lagerraum mit dem Schloss der Finanzabteilung getauscht hatte. Bei der folgenden Anhörung stellte er sich dumm und sagte, dass ja nicht verlangt worden sei, dass ein neu erworbenes Schloss eingebaut werden sollte.

Auch wenn es nicht häufig vorkommt, sind die Sanierungsgegner manchmal gut organisiert und agieren fast wie organisierte Verbrecher. So gab es einen Fall, in dem der Leiter des Sanierungsprojektes unangemeldet spät in der Nacht ins Werk kam und feststellen musste, dass jemand Kundenunterlagen sowie Zeichnungen kopierte. Diese Person wurde von einem Komplizen, der draußen Wache gehalten hatte, jedoch gewarnt und konnte so rechtzeitig fliehen. Die Polizei stellte im Nachhinein fest, dass sowohl das Überwachungsvideo als auch die Zugangsdokumentation – die Tür ließ sich nur über Fingerabdruck-Scanner öffnen – komplett gelöscht wurden.

Trotz aller Schwierigkeiten bei einer Firmensanierung, ist in der Regel eine deutliche Verbesserung der Ergebnisse nach sechs Monaten möglich – und das nicht nur durch Kostensenkung, sondern auch durch Umsatzsteigerung. Dies ist nur durch eine enge Zusammenarbeit eines gut eingespielten Spezialisten-Teams realisierbar. Eine Sanierung mit einem Einzelkämpfer wie einen Interim Manager hat kaum Chancen auf Erfolg in China. Durch die stetig steigenden Löhne in China erhöht sich gerade auch bei deutschen Mittelständlern der Bedarf, Fabriken vor Ort zu schließen oder den Fabrikstandort zu verlegen, was einer Schließung und Neugründung entspricht. Als Alternative zu einer Fabrikschließung kommen Sanierung und Verkauf in Frage, die vor jedem Schließungsantrag in China ernsthaft in Erwägung gezogen werden sollten.

Dieser Beitrag ist erschienen in:

Asia Bridge, 6:2017

Bildquelle: @ Dragonimages – fotolia.de

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