Von den Schwierigkeiten, in China Mitarbeiter zu entlassen

Von den Schwierigkeiten, in China Mitarbeiter zu entlassen

Dr. Kuang-Hua Lin
Arbeitsgericht_Beitrag_CC_2017

Seit 2008 gilt das Arbeitsvertragsgesetz, das Angestellten mehr Rechte und Sicherheiten im Arbeitsleben garantiert. Über Schwierigkeiten bei Gerichtsverfahren schweigen Unternehmen lieber. Nicht so Dr. Lin, der über seine Erfahrungen bei einem Arbeitsgerichtsprozess in Taicang berichtet.

Im Jahr 2008 verabschiedete China das heutige Arbeitsvertragsgesetz (Labor Contract Law) und erhöhte die Hürde für die Kündigung von Mitarbeitern erheblich. Ursprünglich sollte das Gesetz der damals üblichen Praxis des „Hire and Fire“ entgegenwirken. Allerdings erschwerten Rechtsprechung sowie Praxis der Arbeitsschiedsrichter, die vornehmlich Laien-Richter ohne juristische Ausbildung sind, den Unternehmen, Kündigungen rechtswirksam auszusprechen. Beispielsweise wurden häufig die Arbeits- und Disziplinarvorschriften des Unternehmens penibel zugunsten der Arbeitsnehmer ausgelegt oder gar deren Gültigkeit angezweifelt. Die Rechtsprechung der verschiedenen Arbeitsgerichte an unterschiedlichen Standorten variiert zudem sehr stark. Es gibt Gerichte, an denen Arbeitnehmer bei Kündigungsschutzklagen grundsätzlich immer gewinnen, und es gibt Standorte, wo diese wiederum bei der Klage überwiegend verlieren. Da die anfallenden Gerichtskosten für Arbeitgeber in China erheblich sind, ist der Umstand, ob das lokale Arbeitsgericht eher pro oder gegen ausländische Arbeitgeber urteilt, inzwischen ein wichtiger Standortfaktor für deutsche Mittelständler. Selbstverständlich machen deutsche Unternehmen ihre negativen Erfahrungen mit chinesischen Arbeitsgerichten ungern publik, da sie um die Konsequenzen fürchten.

Eigene Erfahrung mit dem Arbeitsgericht

Im Rahmen eines Projektes in Taicang – einem bei deutschen Mittelständlern beliebten Standort in der Nähe von Shanghai – ging es darum, eine Fabrik von einem deutschen mittelständischen Kunden zu erwerben, um die Produktionsstätte dann auf eigene Kosten und Risiken zu sanieren. Durch verschiedene Maßnahmen wie eine freiwillige Umstellung von Zeitlohn auf Akkordlohn in Kombination mit einem flexiblen Arbeitszeitmodell, konnte die Produktivität um über 20 Prozent erhöht werden. Daraus entstand die Notwendigkeit, einen Teil der Mitarbeiter zu entlassen. Da einige Arbeitnehmer sich den Anweisungen der Geschäftsführung widersetzten, hatte die lokale Geschäftsführung seitens der Eigentümer die Anweisung bekommen, jeden Verstoß gegen die Arbeits- und Disziplinarvorschriften streng zu ahnden, bis hin zu einer fristlosen Kündigung, solange diese Maßnahmen mit den chinesischen Gesetzen in Einklang sind. In diesem konkreten Fall hatte sich die Geschäftsführung entschieden, Mitarbeiter, die zu spät kommen oder zu früh gehen, am schwarzen Brett bekanntzugeben. Ein Fabrikmitarbeiter, der zu spät zur Arbeit kam, regte sich über die öffentliche Bekanntgabe auf und riss vor den Augen seiner Kollegen das schwarze Brett mit Gewalt ab und schmiss es auf den Boden. Als der Personalleiter davon erfuhr, entließ er diesen Mitarbeiter fristlos. Denn im Mitarbeiter-Handbuch („Employee Handbook“) des Unternehmens stand klar geschrieben, dass ein Mitarbeiter fristlos und ohne die gesetzliche Abfindung (ein Monatsgehalt pro Jahr Beschäftigungsdauer) entlassen werden kann, wenn dieser „absichtlich Firmeneigentum beschädigt oder zerstört“. Der Arbeitnehmer ging zum Arbeitsschiedsgericht in Taicang und klagte gegen die fristlose Kündigung. Bei einer ungerechtfertigten Kündigung kann der Arbeitnehmer wahlweise die Wiedereinstellung oder die Zahlung einer doppelten gesetzlichen Abfindung verlangen. In diesem Fall verlangte der Arbeitnehmer die Zahlung der doppelten Abfindung in Höhe von rund 134.000 Yuan, etwa 20.000 Euro.

Massives Drängen auf Vergleich

Nach Eingang der Klage nahm die Schiedsrichterin Kontakt mit dem Unternehmen auf und drängte dieses, dem Arbeitnehmer einen Großteil der verlangten doppelten Abfindung auszuzahlen. Es wurde einerseits an das „Mitgefühl“ der Geschäftsführung appelliert – mit dem Tenor „der deutsche Chef sei doch so reich – warum würden dem ‚armen‘ chinesischen Mitarbeiter solche Probleme bereitet“ ? Andererseits wurde angedroht, dass das Unternehmen den Gerichtsprozess bestimmt verlieren würde. Auf Nachfrage welche juristische Begründung sie ihrer Einschätzung zugrunde legte, stellte sich heraus, dass die Schiedsrichterin zu diesem Zeitpunkt nicht einmal die Akten richtig gelesen hatte und den detaillierten Sachverhalt – bis auf die verlangte Geldsumme – gar nicht kannte. Das massive Drängen auf einen Vergleich und die Zahlung des Großteils des verlangten Geldes schien eine übliche und systematische Vorgehensweise zu sein. Es ist jedoch ratsam, einen Vergleich immer abzulehnen, wenn die Kündigung aus Sicht des Arbeitgebers rechtens war. Die Begründung liegt auf der Hand: Wenn der Arbeitgeber sich nur einmal auf einen Vergleich einlässt und zahlt, spricht sich das sofort herum, und jede künftige Kündigung kommt vor das Arbeitsgericht, weil die Mitarbeiter glauben, so mühelos an schnelles Geld in Form der doppelten Abfindung zu gelangen. Und: Arbeitsgerichtsverfahren sind für Arbeitnehmer ohne jegliche Kosten verbunden und somit kein finanzielles Risiko für den Kläger.

Die Praxis zeigt, dass von dieser Vorgehensweise ausdrücklich abzuraten ist: So hat ein Unternehmen in Shanghai gegen diese ausdrückliche Empfehlung einem klagenden Mitarbeiter drei Monatsgehälter als Vergleich gezahlt, da das Arbeitsgerichtsverfahren dem deutschen Geschäftsführer lästig und die Geldsumme aus Sicht des Unternehmens gering war. Allerdings hat der Geschäftsführer diese Entscheidung im Nachhinein bitter bereut, denn seitdem wurde tatsächlich jede Kündigung vor dem Arbeitsgericht verhandelt.

Eindeutig Partei für Arbeitnehmer genommen

Die eigentliche Überraschung war jedoch, dass die Schiedsrichterin nicht nur tendenziell auf der Seite des Arbeitnehmers war, sondern tatsächlich aktiv Partei für den Kläger ergriff. So stellte sie dem klagenden Arbeitnehmer anfangs die Suggestivfrage: „Denken Sie nochmals genau nach. Haben Sie tatsächlich das schwarze Brett absichtlich von der Wand gerissen oder wollten Sie vielleicht nur die Bekanntmachung über die Verspätung vom Board nehmen und haben dabei aus Versehen das Brett mit abgerissen?“ Anschließend zweifelte die Schiedsrichterin die Gültigkeit des Mitarbeiterhandbuches an und verlangte einen Nachweis seitens des Unternehmens, dass das Handbuch tatsächlich den sogenannten „demokratischen Prozess“ durchlaufen hatte. Nach der Rechtsprechung in China reicht es nicht aus, dass alle Mitarbeiter das Handbuch mit einer Unterschrift annehmen und diesem zustimmen. Eine individuelle Zustimmung aller Mitarbeiter kann den vom Gesetz verlangten „demokratischen Prozess“ nicht ersetzen, da die Mitarbeiter ja unter Druck stehen könnten, die Unterschrift leisten zu müssen. Das Unternehmen muss somit beweisen, dass • es tatsächlich entweder eine Vollversammlung oder eine Konferenz von einer demokratisch gewählten Arbeitnehmervertretung gab, die über den Inhalt des Handbuches diskutiert und abgestimmt hat, nachgewiesen durch Protokolle inklusive der Unterschriften der Mitarbeiter beziehungsweise der gewählten Arbeitnehmervertretung • es tatsächlich eine öffentliche Bekanntgabe der Vorschriften gab • den Mitarbeitern die Möglichkeit eingeräumt wurde, den Inhalt zu studieren. Zum Nachweis von Punkt 1 konnte das Unternehmen noch das Protokoll aus dem Jahr 2008 vorweisen. Dieses Protokoll wurde seinerzeit sogar von dem klagenden Arbeitnehmer persönlich unterschrieben, da er damals einer der drei demokratisch gewählten Arbeitnehmervertreter war. Zum Nachweis des dritten Punktes konnten Unterschriften sowie Testergebnisse aller Mitarbeiter vorgewiesen werden. Denn alle Mitarbeiter des Unternehmens müssen bei Arbeitsantritt das Handbuch lesen und einen kleinen Test schreiben, um zu beweisen, dass sie es tatsächlich gelesen haben. Da zu Punkt 2 Beweise fehlten, ordnete die Schiedsrichterin an, dass das Unternehmen diese innerhalb von fünf Tagen nachliefern müsse.

Offensichtliche Benachteiligung durch Tricks

Am meisten überraschte allerdings, dass die Schiedsrichterin tatsächlich versuchte, das beklagte Unternehmen durch diverse Tricks offen zu benachteiligen. Nach chinesischem Gesetz hat das Unternehmen fünf Tage Zeit, den angeforderten Beweis nachzuliefern. Die Schiedsrichterin setzte die zweite Anhörung zur Prüfung dieses Beweises jedoch zwei Tage nach der ersten Anhörung an. Das heißt, der Arbeitgeber hatte faktisch weniger als zwei Tage Zeit, die Beweise zu liefern. Als der Arbeitgeber schriftlich beantragte, die zweite Anhörung zu verschieben, wurde dies abgelehnt.

Einen Tag nach der ersten Anhörung konnte der Arbeitgeber Beweise für die Bekanntmachung im Jahr 2008 sowie Fotos aus dem Jahre 2015 vorlegen, die bewiesen, dass das Unternehmen die Vorschriften nochmals am schwarzen Brett ausgehängt hatte. Als nächstes rief die Schiedsrichterin die Verfahrensvertreterin des Unternehmens an und sagte, sie dürfe das Unternehmen in der zweiten Anhörung nicht vertreten, da sie weder Anwältin noch Mitarbeiterin des Unternehmens sei. Somit musste das beklagte Unternehmen einen Tag vor der zweiten Anhörung innerhalb eines Tages eine neue Vertretung finden und in den Sachverhalt einarbeiten. Ein zum wiederholten Male gestellter Antrag für eine Verschiebung der zweiten Anhörung wurde wiederum abgelehnt. Somit ging der Geschäftsführer allein als gesetzlicher Vertreter des Unternehmens (Legal Representative) zur zweiten Anhörung und musste ohne Verfahrensvertreter gegen den Arbeitnehmer, den Anwalt des Arbeitnehmers und die Schiedsrichterin argumentieren.

Das Verfahrensergebnisse und die Lehren

Es wird wahrscheinlich nicht überraschen, dass das Unternehmen das Schiedsgerichtsverfahren verloren hat. Interessant war jedoch die Begründung: Es wurde von der Schiedsrichterin argumentiert, dass es in dem Unternehmenshandbuch noch eine weitere Strafklausel gebe, die zu der zu verhandelnden Situation passen würde. Argumentiert wurde, im Falle von zwei Strafklauseln im Handbuch, die beide zu der Situation passen, dürfe das Unternehmen nur die „leichtere“ Strafklausel anwenden und nicht die „schwerere“. Also dürfe in diesem konkreten Fall das Unternehmen lediglich eine Abmahnung aussprechen, nicht jedoch eine fristlose Kündigung. Alarmiert durch diese Argumentation hat die Geschäftsführung sofort alle Vorschriften im Handbuch revidiert. Denn tatsächlich gibt es viele Klauseln, die sich überlappen könnten. Beispielweise gibt es eine Klausel, die eine Entlassung ermöglicht, wenn Mitarbeiter dem Unternehmen einen Schaden von mehr als 10.000 Yuan zufügen. Diese Klausel überschneidet sich mit fast allen Vorschriften, die ein bestimmtes Verhalten abmahnen, wie beispielsweise die Vorschrift, dass ein Mitarbeiter eine Abmahnung bekommt, wenn er vorsätzlich gegen die Anweisung der Vorgesetzten verstößt. Deshalb wurde die zweite Vorschrift wie folgt ersetzt: „Mitarbeiter werden abgemahnt, wenn sie vorsätzlich gegen die Anweisung
der Vorgesetzten verstoßen UND der Schaden weniger als 10.000 Yuan beträgt.“ Umfangreiche Revidierungen des Mitarbeiter-Handbuchs waren notwendig, um alle potenziellen Überschneidungen der Vorschriften zu vermeiden. Wie geht es in dem konkret beschriebenen Fall nun weiter? Da das beklagte Unternehmen sich nach wie vor im Recht sieht, dass die Entlassung des Mitarbeiters zulässig ist, hat es Revision eingelegt und geht nun zum Zivilgericht, um den Schiedsspruch prüfen zu lassen. Sollte die erste Instanz das Urteil jedoch bestätigen, wird das Unternehmen vor der nächsthöheren Instanz in Revision gehen. Das gesamte Verfahren kann sich so ein bis zwei Jahre hinziehen. Der Aufwand ist notwendig, damit Mitarbeiter, die noch im Unternehmen tätig sind, nicht den falschen Eindruck gewinnen, dass es leicht ist, durch den Gang zum Arbeitsgericht schnelles Geld machen zu können.

Fazit

Auch wenn Arbeitsgerichtsverfahren in China sehr langwierig sein können, sollten ausländische Unternehmen nicht vorschnell handeln und klagende Mitarbeiter mit Geld „ruhig stellen“, um so einen Prozess zu vermeiden. Das Verhalten birgt eine zu große Gefahr, dass sich Nachahmer in der Belegschaft finden und das Unternehmen von einer Abfindungswelle überschwemmt wird. Der Fall zeigt auch, wie zunehmend wichtig das Mitarbeiter-Handbuch für Unternehmen wird, um einen internen Verhaltenskodex zu definieren und Regeln klar abzustecken.

Dieser Beitrag ist erschienen in:

ChinaContact, 05/2017

Bildquelle: APMC / Dr. Lin

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