Langfristige Bindung
Erfolgsfaktor Personal – Erfahrungen in Indien
Die Bedeutung des Erfolgsfaktors Personal wird von ausländischen Unternehmen in Indien vielfach unterschätzt. In einem Land, wo unterschiedliche Religionen, Sprachen, Kulturen und Geschäftsgebaren zusammenwirken, trägt die interkulturelle Kompetenz, passende Mitarbeiter auszuwählen und an das Unternehmen dauerhaft zu binden, in erheblichem Maße zum Geschäftserfolg bei.
In der Weltbank-Rangliste »Ease of Doing Business« liegt Indien auf Platz 134, weit hinter den anderen BRICS-Staaten. Das bedeutet, das Geschäft in Indien ist wesentlich komplizierter als in den meisten Ländern der Welt. Während große Konzerne häufig auf sündhaft teure Anwälte und Berater setzen, um die Komplexität des Indiengeschäftes zu bewältigen, sind die meisten mittelständischen Unternehmen auf ihre lokalen Führungsmitarbeiter angewiesen. Ein erfahrener Manager, der bereits das Geschäft für ausländische Unternehmen in Indien erfolgreich geführt hat, kann Risiken und Kostenaufwand drastisch senken und zugleich den Geschäftsaufbau oder -ausbau erheblich beschleunigen.
Indien ist nicht gleich Indien
»Interkulturelle Kompetenz« umfasst nicht nur das erfolgreiche Agieren zwischen den Kulturen Europas und Indiens, sondern berücksichtigt vor allem auch die kulturellen Unterschiede innerhalb Indiens: Ein Expat, der jahrelang in einer indischen Metropole gearbeitet hat, wird sich nicht unbedingt in der Geschäftskultur in einer ländlichen Gegend zurechtfinden und ein indischer Mitarbeiter, der seine Karriere hauptsächlich im Norden bzw. Süden des Landes gemacht hat, wird aufgrund der regionalen kulturellen Unterschiede nicht zwangsläufig den gleichen beruflichen Erfolg im Süden bzw. Norden Indiens haben. Es ist daher wichtig zu verstehen, dass Indien nicht gleich Indien ist und die Heterogenität des Landes bei der Personalsuche und -auswahl berücksichtigt werden muss.
Bessere Vermarktung
Laut einer Studie der HayGroup geht man in Indien für das Jahr 2014 von einer Fluktuationsrate von 27,5 Prozent aus. Des Weiteren geht aus der Studie hervor, dass sich die vergleichsweise hohe Fluktuation in den nächsten Jahren fortsetzen wird. Es gibt zahlreiche Gründe, die diese Fluktuationsrate erklären: Neben hoher oder eintöniger Arbeitsbelastung, geringen Fortbildungsmöglichkeiten sowie familiären Gründen gehört vor allem eine unzureichende Gehaltsanpassung zu den Hauptgründen, den Arbeitgeber zu wechseln.
Um diese Problematik in Indien besser zu begreifen und entsprechend entgegenzuwirken, muss man folgende Gegebenheiten verstehen: Das Generationenverhältnis wird nach Prognosen verschiedener Institutionen bis zum Jahr 2026 in Indien einen Bevölkerungsanteil im arbeitsfähigen Alter (15-64 Jahre) von 70 Prozent hervorbringen. Jedes Jahr drängen über eine Million Hochschulabsolventen – mit steigender Tendenz – auf den indischen Arbeitsmarkt, wobei die indische Wirtschaft noch nicht einmal halb so viele Arbeitsplätze jährlich schafft. Der ambitionierten jungen Generation bleibt nichts anderes übrig, als eine Stelle anzutreten, für die sie eigentlich überqualifiziert ist oder kein Interesse hat, um dann durch einen schnellen Jobwechsel die Karriereleiter zu erklimmen.
»War for talents«
Auch wenn die demografische Entwicklung aus westlicher Sicht sehr beeindruckend ist, gilt es, die zukünftigen Arbeitnehmer differenziert nach deren Bildungsabschluss zu bewerten. Denn nur ein kleiner Teil der Universitäten in Indien erfüllt die hohen Bildungsstandards.
Die Rekrutierung von Absolventen aus den Top-Universitäten hat unter den Unternehmen, vor allem den großen Konzernen, einen »war for talents« ausgelöst. Das heißt jedoch nicht, dass die geeigneten Kandidaten für das eigene Unternehmen ausschließlich unter den Absolventen der Top- Universitäten zu finden sind.
Besonders Mittelständler müssen überlegen, ob sie vielleicht solche Kandidaten eher meiden sollten, weil Absolventen der Top-Unis erfahrungsgemäß nicht lange in einem mittelständischen Unternehmen bleiben. Wenn man den universitären und kulturellen Hintergrund richtig zu bewerten weiß, dann lassen sich auch unter anderen Absolventen großartige Talente finden.
Persönliche Vorbehalte
Auch wenn es ungern ausgesprochen wird: In Indien hat der soziokulturelle und familiäre Hintergrund einen wesentlich größeren Einfluss auf zwischenmenschliche Beziehungen als etwa die hierarchischen Verhältnisse. Nicht selten kommt es in indischen Betrieben vor, dass einzelne Mitarbeiter das Unternehmen wegen persönlicher Vorbehalte gegenüber dem direkten Vorgesetzten verlassen. Diese Aspekte werden von deutschen Unternehmen in Indien oftmals außer Acht gelassen und können bei der langfristigen Planung zu bösen Überraschungen führen. Ein Beispiel: Die indische Tochtergesellschaft eines deutschen Unternehmens ist ein Joint Venture mit einem heimischen Unternehmen eingegangen. In dem JV-Vertrag wurde festgelegt, dass die Geschäftsführung dem indischen Partner unterliegt. Bevor der Partner seine neue Position antreten konnte, hatte die Mehrheit der mittleren Führungsebene das Unternehmen jedoch bereits verlassen. In Nachgesprächen machten die ausgeschiedenen Mitarbeiter deutlich, dass sie aufgrund soziokultureller Vorurteile gegenüber dem neuen JV-Partner und der damit verbundenen ungewissen Zukunft des Unternehmens die Flucht angetreten hatten. Solche Vorkommnisse sind bei mittelständischen Unternehmen in Indien keine Seltenheit und werden vom Mutterhaus häufig im Vorfeld nicht bedacht bzw. nicht rechtzeitig abgefangen.
Mitarbeiter binden
In Anbetracht der indienspezifischen Personalaspekte sollten deutsche Unternehmen, unabhängig von Größe und Geschäftsform, Mitarbeiterbindungsmaßnahmen entwickeln, um eine langfristige Planungssicherheit zu gewährleisten. Insbesondere für Unternehmen, die mit einem kleinen Team lokal arbeiten, gilt es, nicht nur den Kommunikationskanal zur indischen Tochtergesellschaft offen zu halten, sondern sich auch den kulturellen Bedürfnissen der Mitarbeiter anzupassen.
Ungeachtet dessen ist im Hinblick auf die relativ hohe Inflationsrate eine regelmäßige, marktgerechte Gehaltsanpassung der Schlüsselfaktor, um indisches Personal langfristig zu binden. Weitere entscheidende Faktoren sind eine langfristige Arbeitsplatzsicherheit, die finanzielle Solidität des Arbeitgebers, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie ein angenehmes Betriebsklima.
Lokal agieren
Für deutsche Mittelständler, die als unbekannte Neulinge den indischen Markt betreten, ist es sehr schwierig, die Gewährleistung der genannten Faktoren an die Kandidaten zu vermitteln. Es ist daher gerade am Anfang der Geschäftsaktivitäten in Indien ratsam, mit einem ortskundigen und erfahrenen Berater zusammenzuarbeiten, der die Vermarktung des deutschen Unternehmens als künftiger Arbeitgeber gegenüber den Kandidaten entsprechend vermittelt. Dieser soll nicht nur geeignetes Personal auswählen, sondern auch Mitarbeiterbindungsmaßnahmen für die indische Tochtergesellschaft des deutschen Unternehmens entwickeln, die sich an den lokalen Gegebenheiten orientieren.
Zudem lässt sich feststellen, dass viele Unternehmen vor und nach dem Markteintritt zu wenig mit den markttypischen Gegebenheiten vertraut sind. Mit einem geeigneten Berater können deutsche Unternehmen Schulungen koordinieren und in Indien personalbezogene Indikatoren schneller ermitteln sowie rechtzeitig Maßnahmen ergreifen. Jeder Standort in Indien bringt andere Herausforderungen mit sich. Je nach Industriesektor, Unternehmensphilosophie und vor allem Region des Firmenstandorts muss Personal unter Berücksichtigung der schulischen/universitären Ausbildung, Berufserfahrung sowie interkulturellen Kompetenz ausgewählt werden.
Originale Veröffentlichung in der IndienContact.